Clara Bünger

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Clara Bünger (2021)

Clara Anne Bünger (* 4. Juli 1986 in Oldenburg)[1] ist eine deutsche Juristin und Politikerin (Die Linke). Sie ist seit 2022 Mitglied des Deutschen Bundestages.

Jugend, Ausbildung und Beruf

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Bünger wuchs in Freiberg auf und legte dort ihr Abitur ab. Ihr Vater war an der Gründung der Die Tageszeitung beteiligt und langjähriger Redakteur des Magazins Der Rechte Rand.[2] Sie wuchs in einem politischen Elternhaus auf. Bünger studierte von 2005 bis 2012 Rechtswissenschaften in Leipzig und war Stipendiatin der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Im Jahr 2012 arbeitete sie in einer Kanzlei in Israel im Bereich Holocaustentschädigung und Ghettorenten. Danach absolvierte sie von 2013 bis 2015 das Rechtsreferendariat in Berlin mit Stationen beim Auswärtigen Amt, der internationalen Menschenrechtskanzlei European Center for Constitutional and Human Rights und einer internationalen Kanzlei in Singapur.[3] 2015 legte sie das Zweite Staatsexamen ab und ist seitdem Volljuristin.

Sie war von 2018 bis Anfang 2022 unter anderem als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Abgeordnetenbüro der Bundestagsabgeordneten Gökay Akbulut tätig.

Aktivistin für Asyl- und Menschenrechte

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Freiberger Jugendinitiative »Buntes Leben«

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Schon während ihrer Jugend engagierte sie sich gegen rechtsradikale Strukturen in Freiberg und der Umgebung. 2003 gründete sie mit anderen die Jugendinitiative »Buntes Leben«.[4] Die Organisation verhinderte den Bau eines Nazischulungszentrums in der Nähe von Freiberg. Außerdem spürte Bünger mit anderen einen verurteilten NS-Kriegsverbrecher in einem örtlichen Altersheim auf.[5] Im Sommer 2005 wurde sie von organisierten rechten Jugendlichen überfallen und tätlich angegriffen, wobei ihr Kiefer verletzt wurde.[6]

Refugee Law Clinic

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Seit 2014 engagiert sich Bünger für geflüchtete Menschen, insbesondere für die, die auf den griechischen Inseln ankommen. Sie war im Frühjahr 2016 als Koordinatorin der Rechtsberatung für die Refugee Law Clinics Deutschland auf Chios aktiv. Obwohl die Verhältnisse für Geflüchtete ähnlich prekär waren wie auf Lesbos, gab es kaum mediale Aufmerksamkeit. Zudem waren zu diesem Zeitpunkt keine Vertreter der EU oder der UN auf der Insel. Als Rechtsberaterin informierte sie die Geflüchteten zu den praktischen Folgen des EU-Türkei-Deals.[7]

Equal Rights Beyond Borders

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2017 gründete Bünger gemeinsam mit anderen Juristen den Verein Equal Rights Beyond Borders e.V., der rechtliche Einzelfallberatungen für Geflüchtete anbietet und strategische Prozesse im Bereich Flucht und Migration führt. Anlass für die Vereinsgründung war der EU-Türkei-Deal, wegen dem die EU-Hotspots auf den griechischen Inseln faktisch zu Haft- und Abschiebezentren wurden. Schwerpunkt lag zunächst auf der Familienzusammenführung im Dublin-Verfahren; später erweiterte sich der Arbeitsbereich auf rechtswidrige Inhaftierungspraktiken.[8][9] Der Verein unterhält Büros in Berlin, Athen, Chios und Kos. 2019 erstritt der Verein vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die Unterbringung für eine obdachlose geflüchtete Frau und ihre minderjährige Tochter.[10]

Mitgliedschaften

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Sie ist Mitglied bei Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (verdi) und bei der IRZ-Stiftung (Deutschen Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit e.V.).[11] Bünger ist außerdem im Beirat von Humanity in Action.[12] Seit 2019 engagiert sie sich bei der Seebrücke und unterstützte die Bewegung im Bereich Advocacy.

Bünger trat 2005 in die PDS, die Vorgängerpartei der Linken, ein. Bei der Bundestagswahl 2021 kandidierte sie im Erzgebirgskreis I als Direktkandidatin und erhielt 8,0 Prozent der Erststimmen, unterlag jedoch dem AfD-Kandidaten Thomas Dietz, und zog durch ihre Platzierung auf Platz 5 der sächsischen Landesliste[13] zunächst nicht in den Bundestag ein. Am 5. Januar 2022 rückte Bünger für Katja Kipping, die ihr Bundestagsmandat aufgrund ihrer Ernennung zur Berliner Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales niederlegte, als Abgeordnete in den Deutschen Bundestag nach.[14] Bünger sprach sich gegen Lohn- und Rentenungerechtigkeit aus und plädierte dafür, dass Daseinsvorsorge in die öffentliche Hand gehöre.[15] Im Bundestag ist Bünger flucht- und rechtspolitische Sprecherin der Gruppe Die Linke im Bundestag, für deren Vorsitz sie im Februar 2024 gemeinsam mit Ates Gürpinar erfolglos kandidierte, wobei sie Heidi Reichinnek und Sören Pellmann mit 13 zu 14 Stimmen unterlagen.[16] Sie ist stellvertretendes Mitglied im Ausschuss für Inneres und Heimat, ordentliches Mitglied im Ausschuss für Recht und war vom 8. Juli 2022 bis zum 6. Dezember 2023 Obfrau im 1. Untersuchungsausschuss der 20. Wahlperiode des Deutschen Bundestages.[17] Trotz ihres verspäteten Einzugs in den Bundestag war sie bei der Halbzeitbilanz der Legislaturperiode auf Platz 7 der Abgeordneten, die die meisten Reden hielten.[18]

Als fluchtpolitische Sprecherin der Gruppe Die Linke initiiert sie zahlreiche Kleine Anfragen an die Bundesregierung, u. a. regelmäßige Abfragen der aktuellen Zahlen von Geflüchteten in Deutschland[19], zur Asylverfahrensdauer, der Herkunftsländer oder der Anzahl und Umstände von Abschiebungen. Auch die Übergriffe auf Geflüchtetenunterkünfte werden durch ihre Anfragen öffentlich gemacht.[20]

Bünger erörterte vielfach die asyl- und menschenrechtliche Positionen von EU und Bundesregierung in Bezug auf die Situation von Geflüchteten an den EU-Außengrenzen. 2017 stellte sie die Rechtmäßigkeit beschleunigter Grenzverfahren auf den griechischen Inseln infrage und äußerte fundamentale Bedenken an der Einordnung der Türkei als sicheren Drittstaat.[21] Sie erläuterte außerdem, wie griechische Erstaufnahmelager faktisch die Rolle von Abschiebezentren einnahmen.[22] Bünger kritisierte den EU-Verteilmechanismus nach Seenotrettung und stellte die Kluft zwischen den Forderungen von deutschen Politikern und EU- und Menschenrechten heraus.[23] 2021 bezeichnete sie die EU-Regelungen als ein „Asylverhinderungssystems“, bei dem Abschiebepatenschaften, Hotspot-Regelungen und Abschiebezentren eher auf die Verhinderung von Flucht als auf ein geordnetes Asylverfahren ausgelegt seien.[24]

Die am 11. April 2024 im EU-Parlament beschlossene Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) kritisierte sie während der Genese scharf: Sie sei der massivste Angriff auf das individuelle Recht auf Asyl, den es in der EU je gegeben hat.[25] Sie warnt vor Grenzverfahren unter Haftbedingungen, Deals mit Autokraten, Investitionen in Abschottung.[26]

Seit den Protestbewegungen im Iran im September 2022 solidarisiert sie sich mit den protestierenden und von staatlicher Repression betroffenen Iranern. Sie übernahm eine politische Patenschaft für den inhaftierten Iraner Mohammad Ghobadlou, der im Dezember 2022 zum Tode vom Obersten Gerichtshof im Iran verurteilt und im Januar 2024 hingerichtet wurde, nachdem sein Urteil zunächst aufgehoben war.[27]

Seit dem Start des Bundesaufnahmeprogramm für besonders gefährdete Menschen aus Afghanistan, das Personen, die im Dienste der Bundesregierung oder für zivilgesellschaftliche Institutionen während des Afghanistan-Einsatzes tätig waren, nach Machtergreifung der Taliban vor diesen schützen soll, äußert sich Bünger kritisch zur Umsetzung des Programms. Sie moniert, dass die Bundesregierung seit dem Start im Oktober 2022 bisher weit hinter dem Ziel verbleibt, 44.000 besonders gefährdete Afghaninnen und Afghanen in Deutschland aufzunehmen und ein Jahr später nur wenige hundert Personen in Deutschland angekommen sind.[28] Grund dafür seien laut Bünger intransparente Sicherheitsüberprüfungen und mangelnde personelle Ausstattung in der deutschen Botschaft in Islamabad sowie fehlender politischer Willen, das Programm zügig durchzuführen.[29] Weiterhin bewertet sie das mehrstufige Aufnahmeprogramm als bürokratisch und zu intransparent.[30]

Bünger kritisiert als Mitglied im Rechtsausschuss die Kriminalisierung von Bagatelldelikten wie Fahren ohne Fahrschein und setzte sich für die Abschaffung des § 43 StGB (Ersatzfreiheitsstrafe) ein. Dem Begriff von Ronen Steinke folgend bezeichnete sie sie als Klassenjustiz, da Menschen ohne Einkommen und wohnungslose Menschen stärker von der Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe betroffen seien und gleichzeitig die Haft und ihre Folgen für sie schwerer zu verkraften seien.[31]

Veröffentlichte Beiträge

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Commons: Clara Bünger – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Clara Bünger, Gruppe Die Linke: Biografie. In: bundestag.de. 2024, abgerufen am 12. August 2024.
  2. Clara Bünger. In: abgeordnetenwatch.de. Abgerufen am 5. Januar 2022.
  3. Arbeitsheft 1: Clara Bünger. (PDF; 120 kB) Die Linke Sachsen, 8. April 2021, abgerufen am 5. Januar 2022.
  4. Freiberg: Eine Alternative bieten. In: Mut Gegen Rechte Gewalt. Abgerufen am 22. August 2023.
  5. Nicht von außen. In: Neues Deutschland. Abgerufen am 22. August 2023.
  6. Freiberg: Eine Alternative bieten. In: Mut Gegen Rechte Gewalt. Abgerufen am 22. August 2023.
  7. Juristisches Ehrenamt in Griechenland. In: LTO Karriere. Abgerufen am 22. August 2023.
  8. Unsere Geschichte. In: Equal Rights Beyond Borders. Abgerufen am 22. August 2023.
  9. Jura not alone - 12 Ermutigungen, die Welt mit den Mitteln des Rechts zu verändern, Nora Markard, Ronen Steinke, Campus Verlag, Frankfurt am Main, 2024, ISBN 978-3-593-51850-3
  10. Application No.63074/19. In: Equal Rights Beyond Borders. Abgerufen am 22. August 2023.
  11. Verein. IRZ, abgerufen am 22. August 2023.
  12. Unser Beirat. Humanity in Action e.V., abgerufen am 22. August 2023.
  13. Bundestagswahl 2021. Die Linke Sachsen, abgerufen am 5. Januar 2022.
  14. Linke-Politikerin Clara Bünger für Kipping in Bundestag. Süddeutsche Zeitung, 5. Januar 2022, abgerufen am 5. Januar 2022.
  15. Wechsel bei sächsischen Bundestagsabgeordneten: Clara Bünger rückt für Katja Kipping nach. Leipziger Zeitung, 6. Januar 2022, abgerufen am 23. August 2023.
  16. Karin Christmann: Eklat bei der Linkspartei – Reichinnek und Pellmann gewählt. In: tagesspiegel.de. 19. Februar 2024, abgerufen am 28. November 2024.
  17. Clara Bünger. Linksfraktion Bundestag, abgerufen am 28. Januar 2023.
  18. Bundestag: Die Sommerbilanz. The Pioneer, 3. Juli 2023, abgerufen am 23. August 2023.
  19. Zahlen in der Bundesrepublik Deutschland lebender Flüchtlinge zum Stand Ende 2023. Deutscher Bundestag, 28. Dezember 2023, abgerufen am 28. März 2024.
  20. „Kein Wunder, dass Rassisten sich bestärkt fühlen“: Zahl der Angriffe auf Geflüchtete hat sich 2023 fast verdoppelt. Tagesspiegel, 21. Februar 2024, abgerufen am 28. März 2024.
  21. From first reception center to pre-removal facilities – Supreme Administrative court of Greece decides that Turkey is a safe third country. In: Junge Wissenschaft im Öffentlichen Recht. Abgerufen am 23. August 2023.
  22. Von ‚Erstaufnahmelagern‘ zu ‚Abschiebezentren‘ – Oberstes Verwaltungsgericht Griechenlands sieht Türkei als sicheren Drittstaat an. In: Netzwerk Fluchtforschung. Abgerufen am 23. August 2023.
  23. Erst Haft, dann „Cherry-Picking“? Der EU-Verteilmechanismus nach Seenotrettung. In: Verfassungsblog. Abgerufen am 23. August 2023.
  24. Moria 2.0 - Der Ausnahmezustand darf nicht zur Regel werden. In: Mitteilungs – Zeitung von DIE LINKE Leipzig. Abgerufen am 23. August 2023.
  25. „Der größte politische Rückschlag“. In: taz. Abgerufen am 28. März 2024.
  26. Einigung auf EU-Asylrechtsreform löst heftige Kontroverse aus. In: LTO. Abgerufen am 28. März 2024.
  27. Demonstrant in Iran hingerichtet. In: taz. Abgerufen am 28. März 2024.
  28. Keine Einreise über Afghanistan-Aufnahmeprogramm. In: tagesschau.de. Abgerufen am 28. März 2024.
  29. Linken-Bundestagsabgeordnete Bünger kritisiert Sicherheitsüberprüfungen bei Geflüchteten. In: RND. Abgerufen am 28. März 2024.
  30. Hat die Bundesregierung ihr Versprechen gebrochen? In: tagesschau.de. Abgerufen am 28. März 2024.
  31. : Bundesregierung gibt Ländern die Schuld an der Verzögerung. In: LTO. Abgerufen am 28. März 2024.