Diskussion:Heinrich IV., Teil 1
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Frank Günthers Übersetzung: nicht nur eine Leseversion
[Quelltext bearbeiten]Hallo Herr Werle, Ihr Artikel ist gründlich recherchiert und gut geschrieben! Nur eine kleine Beckmesserei zu "6. Deutsche Übersetzungen." Sie schreiben: "Den Zweck einer Leseversion erfüllt heute am besten die Übersetzung von Frank Günther." Frank Günthers Übersetzung wird seit Jahren nicht nur gelesen, sondern zu Recht auch häufig aufgeführt (Günther war Übersetzer und Dramaturg). Braun schreibt dazu: "...eine bühnenwirksame Textwiedergabe wird begleitet von einem sorgfältigen Umgang mit der Vorlage." (S- 57). Ein kleiner Zusatz in Ihrem Text könnte seiner Beliebheit auf deutschen Bühnen Rechnung tragen. Beste Grüße (nicht signierter Beitrag von Hal002 (Diskussion | Beiträge) 18:00, 8. Apr. 2022 (CEST))
- @Hal002 Danke für das Lob. Sehe ich das BTW richtig, dass sie die Orgel schlagen? - wenigstens die in Sankt Hubertus. Ihre Ergänzungen in dem Artikel sind sehr hübsch.
- Was unseren dicken Ritter betrifft bin etwas unsicher. Werden Frank Günthers Übersetzungen wirklich für Aufführungen benutzt? Das Verhältnis von Spieltexten und Leseversionen bei deutschen Übersetzungen habe ich seinerzeit hier zusammen gefasst: Spieltexte und Rohübersetzungen und das dann immer wieder unkritisch verwurstet. Die Grundlage für diese Zusammenfassung ist das entsprechende Kapitel im Shakespeare-Handbuch (S. 837-842). Ich glaube die Leseversionen werden eher nicht aufgeführt. Mein Eindruck ist der, dass für jede Inszenierung der Text neu erstellt wird und die Grundlage dafür die Rohübersetzungen zum Beispiel der Englisch-deutschen Studienausgabe ist. So beschreibt es übrigens auch Klaus Pohl in seiner wunderschönen Erinnerung an Zadeks Hamlet-Inszenierung - ein Buch zum Niederknien in der Tat! Aber ich kann mich täuschen. Frank Günther hatte ja bei seiner Übersetzung von The Merry Wives of Windsor ausdrücklich die Aufführungspraxis im Auge und einen Vorschlag gemacht, wie man Sh.'s Humor in der Zielsprache fürs Theater lebendig werden läßt. Ob das aber tatsächlich von Theaterleuten umgesetzt und diese Übersetzung aufgeführt wurde weis ich nicht. Leider kann man Frank Günther selbst nicht mehr fragen, er ist ja vor einiger Zeit gestorben.
- @WeiteHorizonte hast Du eine Idee? LG --Andreas Werle (Diskussion) 10:11, 11. Apr. 2022 (CEST)
- Stimme dir da weitgehend zu; die Frage nach den heutigen Textgrundlagen für deutschsprachige Aufführungen lässt sich allgemein nicht eindeutig beantworten; da gibt es keine festen Vorgaben (bzw. gängige Praxis) mehr für die zugrundezulegende Übersetzung. Selber habe ich in den letzten 30 Jahren zahlreiche Aufführungen ein und desselben Stückes mit unterschiedlicher Textvorlage gesehen.
- Anders als die Bühnen im englischsprachigen Raum ist die deutschsprachige Shakespeare-Bühne ja generell äußerst unabhängig im Hinblick auf den gewählten Bühnentext (d.h. kein irgendwie „verpflichtender“ Originaltext, sondern eben „nur“ Übersetzung als Vorlage spielbar) und daher sehr flexibel, anpassungs- und experimentierfreudig. Oder wie Ulrich Suerbaum mal schrieb, der übersetzte Shakespeare-Text ist eh mit unvermeidlichen Sinnverlusten behaftet. Aus dieser Not wird ihm zufolge in der zeitgenössischen Theaterpraxis eine Tugend gemacht, was zu einer unendlichen Variabilität der aufgeführten deutschen Bühnentexte führt. Jede Aufführung arbeitet in der Übersetzung mit anderen Rohtexten, häufig auch eigens für die jeweilige Inszenierung mit selbst erstellten Übersetzungen auf unterschiedlichen Grundlagen. Zudem werden für die jeweilige Aufführungspraxis die Rohübersetzungen nochmals entsprechend den jeweiligen theatralischen Gegebenheiten/Möglichkeiten oder Spiel- bzw. Regiekonzepten etc. adaptiert. Oder, wie Andreas Klaeui in seiner Rezension einer Hamlet-Aufführung von Barbara Frey im Schauspielhaus Zürich 2018 treffend schrieb: „Und jedes Mal sieht das Stück anders aus und hört sich anders an.“ LG--WeiteHorizonte (Diskussion) 13:46, 11. Apr. 2022 (CEST)
- Danke @WeiteHorizonte. Ich sehe das auch so. Unser neuer Kollege Hal002 hat mich dennoch zweifeln lassen, denn im Sh.-Handbuch schreibt Günther Erken unter dem Stichwort Sh. fürs Theater: "So ist eine Eindeutschung mit eigenkünstlerischem Anspruch fast nur noch für das Theater eine unerlässliche Aufgabe. Diese erfüllt seit den neunziger Jahren nahezu konkurrenzlos Frank Günther." Das könnte man so verstehen, als würden Günthers Ausgaben als Spieltexte bevorzugt vor allen anderen Übersetzungen verwendet. Ich glaube nicht das das so ist, habe aber auch keine aktuellere übergeordnete Sekundärliteratur neueren Datums, in der das explizit geklärt wäre - außer dem Handbuch. Mit einer Ausnahme: der große Fluss hat ja kürzlich gaanz zufällig die brandneue Lear-Ausgabe von Werner Brönnimann vor meine Schwelle gespült. Da schauen wir doch mal nach - vielleicht schreibt er was zur Aufführungspraxis. So verirrt man sich hier zuerst in den einen, dann in den nächsten Kaninchenbau. :-)
- Anyway, lieber Kollege Hal, wir - WeiteHorizonte und ich - schätzen Frank Günther sehr und benutzen seine Ausgaben der Dramen für unsere Arbeit hier auf Wikipedia, um die Inhaltsangaben zu belegen. LG --Andreas Werle (Diskussion) 16:46, 11. Apr. 2022 (CEST)
- Zu diesem Thema noch einige Anmerkungen, die Ihre Wertungen im Wesentlichen bestätigen.
- Die im Shakespeare-Jahrbuch veröffentlichten Theaterschauen der letzten 9 Spielzeiten (Jahrbücher 150 bis 158, Spielzeiten 2012/13 bis 2020/21; Namensnennungen unter „Ü.“) ergeben folgendes Bild: Frank Günther war in der Tat nicht (nicht mehr?) der meistgespielte Übersetzer. Deutlich vorn liegt Thomas Brasch mit 42 Erwähnungen, gefolgt von Frank Günther (25), Frank-Patrick Steckel (14) und Jürgen Gosch (8). Nicht berücksichtigt sind hierbei gemeinschaftlich entstandene Versionen (z.B. von Gosch/Schanelec/Wiens). Günther Erken scheint für die letzten 20 Jahre seine Aussage im Shakespeare-Handbuch (2.-5. Auflage) über Günthers Bühnenpräsenz nicht mehr aktualisiert zu haben.
- Kleine Zusatzinformation: Günthers Texte, so hörte ich kürzlich beiläufig, seien nicht immer so leicht sprechbar wie konkurrierende Versionen (was erklären mag, dass Dramaturgen anderen, neueren Texten den Vorzug geben – aber das ist nur eins von mehreren Qualitätsmerkmalen). Die Statistik bestätigt jedoch, dass Günthers Texte immer noch auf den Bühnen präsent sind. Dass sie nur als Leseversion zu genießen seien, lässt sich statistisch also nicht belegen.
- Gelegentlich werden für Übersetzung und Regie identische Personen genannt. Man kann sich zusammenreimen, wie deren Texte entstanden sind, reicht doch das breite Angebot von Eschenburg bis in die Jetztzeit, die Shakespeare-Studienausgaben nicht ausgenommen. Für viele Bühnenversionen des untersuchten Zeitraums werden keine persönlichen Urheber genannt; diese Texte dürften kostensparend oft mit Hilfe verstohlener Griffe ins Selbstbedienungsregal zustande gekommen sein. Aufrichtig benannt hieße es dann: „… nach Shakespeare“. Die Shakespeare-Aneignung findet viele Wege.
- Viel Vergnügen übrigens mit der neuen Studienausgabe des King Lear! Sie ist ihrem Umfang und wissenschaftlichen Anspruch nach eher eine Ausnahme in dieser Reihe – ein selbstbewusster Wink in Richtung des akademischen Lehrbetriebs, der die Studienausgabe seit Jahrzehnten zu ignorieren vorgibt und den Studierenden die Arden-Ausgabe vorschreibt. Worin der Wert der intensiven und lückenlosen Beschäftigung mit Shakespeares Text steckt, sieht man besonders an Stellen, wo die Arden-Ausgaben Problemstellen paraphrasierend umschiffen oder unkommentiert lassen, während die Studienausgabe bei der Sinnübertragung per Übersetzung und Anmerkungen jedes Wort auf die Goldwaage legen muss. --Hal002 (Diskussion) 13:26, 25. Apr. 2022 (CEST)
- Hallo Hal, herzlichen Dank für Ihre Recherche, Sie kennen sich aus!
- Die Sprechbarkeit der Texte ist ja der Grund, weshalb die Theaterleute andere Vorlieben haben als wir, das Lesepublikum. Ich habe BTW dieser Tage: Ton Hoenselaars (Hrsg.): Shakespeare and the Language of Translation. The Arden Shakespeare, Bloomsbury, revised Edition London 2012, ISBN 978-1-4081-7974-1 besorgt. Da findet sich ein hübscher Beitrag von Werner Brönnimann über die zweisprachige Studienausgabe.
- Der Lear liegt mir übrigens im Magen - nicht die Studienausgabe, sondern was Werk, oder vielmehr unser Artikel - ich bin immer noch nicht zufrieden mit der Beschreibung der Handlung, obwohl der Abschnitt schon weitestgehend dem entspricht, was wir uns so vorstellen. Immerhin sind "Übersicht" und "Handlung" ja komplett und einigermaßen konsistent geschrieben. Ich würde mich freuen wenn Sie unsere Diskussionen gerne kritisch begleiten. Derzeit knobeln wir mal wieder am Othello, schauen Sie doch hier vorbei: Diskussion:Othello#Gasthof. Liebe Grüße --Andreas Werle (Diskussion) 21:49, 25. Apr. 2022 (CEST)
- Anders als die Bühnen im englischsprachigen Raum ist die deutschsprachige Shakespeare-Bühne ja generell äußerst unabhängig im Hinblick auf den gewählten Bühnentext (d.h. kein irgendwie „verpflichtender“ Originaltext, sondern eben „nur“ Übersetzung als Vorlage spielbar) und daher sehr flexibel, anpassungs- und experimentierfreudig. Oder wie Ulrich Suerbaum mal schrieb, der übersetzte Shakespeare-Text ist eh mit unvermeidlichen Sinnverlusten behaftet. Aus dieser Not wird ihm zufolge in der zeitgenössischen Theaterpraxis eine Tugend gemacht, was zu einer unendlichen Variabilität der aufgeführten deutschen Bühnentexte führt. Jede Aufführung arbeitet in der Übersetzung mit anderen Rohtexten, häufig auch eigens für die jeweilige Inszenierung mit selbst erstellten Übersetzungen auf unterschiedlichen Grundlagen. Zudem werden für die jeweilige Aufführungspraxis die Rohübersetzungen nochmals entsprechend den jeweiligen theatralischen Gegebenheiten/Möglichkeiten oder Spiel- bzw. Regiekonzepten etc. adaptiert. Oder, wie Andreas Klaeui in seiner Rezension einer Hamlet-Aufführung von Barbara Frey im Schauspielhaus Zürich 2018 treffend schrieb: „Und jedes Mal sieht das Stück anders aus und hört sich anders an.“ LG--WeiteHorizonte (Diskussion) 13:46, 11. Apr. 2022 (CEST)