Komplexe Borhydride
Komplexe Borhydride sind eine Stoffgruppe der Chemie, die das Tetrahydridoborat-Anion BH4- enthalten oder ein davon abgeleitetes Anion, bei dem ein bis drei Wasserstoffatome durch andere Gruppen ersetzt sind. Sie sind wichtige Reduktionsmittel in der organischen Synthese, wobei am häufigsten Natriumborhydrid eingesetzt wird.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Komplexe Borhydride wurden zur Zeit des Zweiten Weltkriegs von Hermann Irving Schlesinger und Herbert Charles Brown entdeckt. Zu den ersten bekannten Vertretern gehörten Lithiumborhydrid, Aluminiumborhydrid, Berylliumborhydrid, Natriumborhydrid und Uranborhydrid. Letzteres wurde insbesondere im Rahmen des Manhattan-Projekts untersucht, das flüchtige Uranverbindungen für die Urananreicherung benötigte. Uranborhydrid ist neben Uranhexafluorid eine der flüchtigsten bekannten Uranverbindungen. Später wurden Borhydride als Reduktionsmittel für die organische Synthese verwendet. Für seine Forschung in diesem Bereich erhielt Brown im Jahr 1979 den Nobelpreis für Chemie.[1]
Herstellung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Borhydride können durch eine Reaktion von Diboran oder einem Borankomplex mit einem Metallhydrid oder Metallalkyl hergestellt werden. Beispiele sind die Herstellung von Magnesiumborhydrid aus Diethylmagnesium und Diboran oder von Calciumborhydrid aus Calciumhydrid und Triethylaminboran. Komplexe wie Triethylaminboran oder Dimethylsulfidboran werden verwendet, um das giftige und pyrophore Diboran zu vermeiden.[1] Natriumborhydrid kann leicht durch Reaktion von Trimethylborat mit Natriumhydrid hergestellt werden.[2] Lithiumtriethylborhydrid wird durch Reaktion von Triethylboran mit Lithiumhydrid hergestellt.[3]
Viele Borhydride werden außerdem durch Salzmetathese aus anderen Borhydriden hergestellt.[1] Beispielsweise kann Aluminiumborhydrid durch Reaktion von Lithiumborhydrid oder Natriumborhydrid mit Aluminiumchlorid oder Aluminiumbromid hergestellt werden.[4] Tetrabutylammoniumborhydrid kann aus Tetrabutylammoniumchlorid und Natriumborhydrid hergestellt werden.[5]
Eigenschaften
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Bindungsverhältnisse in den Borhydriden der Alkalimetalle und der schwereren Erdalkalimetalle sind stark ionisch geprägt, während bei den leichteren Erdalkalimetallen, insbesondere Berylliumborhydrid, deutliche kovalente Anteile auftreten. Auch Aluminiumborhydrid und Titanborhydrid sind deutlich kovalent.[1]
Reaktionen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Natriumborhydrid kann vor allem Aldehyde, Ketone und Säurechloride reduzieren.[6] Natriumcyanoborhydrid wird insbesondere für die selektive Reduktion von Iminen verwendet.[7] Lithiumborhydrid ist besser in organischen Lösungsmitteln löslich als Natriumborhydrid und reduziert bei erhöhten Temperaturen auch Ester, ist aber deutlich weniger reaktiv und damit selektiver als Lithiumaluminiumhydrid.[8] Im Gegensatz zu Natriumborhydrid, das meist in Lösung in Wasser oder Methanol verwendet wird, ist Tetrabutylammoniumborhydrid ebenfalls in organischen Lösungsmitteln löslich, sodass Reduktionen beispielsweise in Dichlormethan durchgeführt werden können. Die Reaktivität ist aber ähnlich wie bei Natriumborhydrid, sodass es insbesondere Aldehyde, Ketonen und Säurechloride reduziert.[5] Lithiumtriethylborhydrid ist deutlich nucleophiler als die meisten anderen Borhydride, sodass es in Substitutionsreaktionen reagiert und beispielsweise Alkylhalogenide und Tosylate zu den entsprechenden Kohlenwasserstoffen reduzieren kann.[3]
Verwendung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ein wichtiger Anwendungsbereich für Borhydride allgemein ist als Reduktionsmittel in der organischen Synthese (siehe Abschnitt Reaktionen). Daneben wird die Anwendung als Wasserstoffspeicher im Energiebereich untersucht.[1] Natriumborhydrid ist das mit Abstand meistgenutzte komplexe Hydrid und wird (Stand 2012) in der Größenordnung von über 2000 Tonnen pro Jahr verwendet. Die mengenmäßig wichtigste Anwendung ist in der Papierherstellung. Industrielle Anwendungen in der organischen Synthese sind beispielsweise Herstellungsprozesse von Vitamin A, Steroiden und Pharmazeutika.[9]
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b c d e Mark Paskevicius, Lars H. Jepsen, Pascal Schouwink, Radovan Černý, Dorthe B. Ravnsbæk, Yaroslav Filinchuk, Martin Dornheim, Flemming Besenbacher, Torben R. Jensen: Metal borohydrides and derivatives – synthesis, structure and properties. In: Chemical Society Reviews. Band 46, Nr. 5, 2017, S. 1565–1634, doi:10.1039/C6CS00705H.
- ↑ H. I. Schlesinger, Herbert C. Brown, A. E. Finholt: The Preparation of Sodium Borohydride by the High Temperature Reaction of Sodium Hydride with Borate Esters 1. In: Journal of the American Chemical Society. Band 75, Nr. 1, Januar 1953, S. 205–209, doi:10.1021/ja01097a054.
- ↑ a b Peter Rittmeyer, Ulrich Wietelmann: Hydrides. In: Ullmann's Encyclopedia of Industrial Chemistry. Band 18. Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim, Germany 2000, ISBN 978-3-527-30673-2, S. 112–113, doi:10.1002/14356007.a13_199.
- ↑ H. I. Schlesinger, Herbert C. Brown, Earl K. Hyde: The Preparation of Other Borohydrides by Metathetical Reactions Utilizing the Alkali Metal Borohydrides 1. In: Journal of the American Chemical Society. Band 75, Nr. 1, Januar 1953, S. 209–213, doi:10.1021/ja01097a055.
- ↑ a b Douglas J. Raber, Wayne C. Guida: Tetrabutylammonium borohydride. Borohydride reductions in dichloromethane. In: The Journal of Organic Chemistry. Band 41, Nr. 4, 20. Februar 1976, S. 690–696, doi:10.1021/jo00866a022.
- ↑ Saul W. Chaikin, Weldon G. Brown: Reduction of Aldehydes, Ketones and Acid Chlorides by Sodium Borohydride. In: Journal of the American Chemical Society. Band 71, Nr. 1, Januar 1949, S. 122–125, doi:10.1021/ja01169a033.
- ↑ E. R. H. Walker: The functional group selectivity of complex hydride reducing agents. In: Chemical Society Reviews. Band 5, 1976, S. 23, doi:10.1039/cs9760500023.
- ↑ Luca Banfi, Enrica Narisano, Renata Riva, Ellen W. Baxter: Lithium Borohydride. In: Encyclopedia of Reagents for Organic Synthesis. John Wiley & Sons, Ltd, Chichester, UK 2005, ISBN 978-0-471-93623-7, doi:10.1002/047084289x.rl061.pub2.
- ↑ Peter Rittmeyer, Ulrich Wietelmann: Hydrides. In: Ullmann's Encyclopedia of Industrial Chemistry. Band 18. Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim, Germany 2000, ISBN 978-3-527-30673-2, S. 117, doi:10.1002/14356007.a13_199.