Liste der Stolpersteine in Kaufbeuren
Die Liste der Stolpersteine in Kaufbeuren gibt eine Übersicht über die vom Künstler Gunter Demnig verlegten Stolpersteine in der bayerischen Stadt Kaufbeuren. Sie erinnern an das Schicksal der Menschen, die in Kaufbeuren lebten und in der Zeit des Nationalsozialismus ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden.
Die Stolpersteine sind Betonwürfel mit einer Kantenlänge von 10 Zentimetern und einer Oberseite aus Messing. Sie sind in den Bürgersteig vor jenen Häusern eingelassen, in denen die Opfer einmal gewohnt oder gewirkt haben. In die Tafeln sind eingeschlagen: Name, Geburtsjahr, Schicksal sowie Todesdatum und -ort, soweit bekannt.
In Kaufbeuren wurden die ersten vier Stolpersteine am 26. September 2020 verlegt.[1][2]
Chronologie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Angestoßen wurde die Aktion durch die Ausstellung des Stadtmuseums Kaufbeuren mit dem Titel Kaufbeuren unterm Hakenkreuz. Eine Stadt geht auf Spurensuche, die vom 1. November 2019 bis zum 23. August 2020 mit großer Resonanz der Bevölkerung gezeigt wurde.[3] Parallel zum Ausstellungsprojekt startete das Stadtmuseum 2018 ein Projekt der Provenienzforschung, in dem die Sammlungserwerbungen aus den Jahren 1932 bis 1964 überprüft wurden.
Der Kulturausschuss der Stadt Kaufbeuren beschloss am 9. November 2020, dass die Dauerausstellung des Stadtmuseums auf Grundlage der erarbeiteten Inhalte der Sonderausstellung umgestaltet werden soll.
Am 26. September 2020 wurden die ersten Stolpersteine zum Gedenken an die Kaufbeurer Opfer des Nationalsozialismus verlegt – für den Juden Ernst Buxbaum, für das Euthanasie-Opfer Marie Espermüller, für den Widerstandskämpfer Georg Riedel und für den Zwangsarbeiter Stefan Smiglarski.
Die zweite Stolperstein-Verlegungsserie für sechs Widerstandskämpfer aus Kaufbeuren folgte im März 2023.
Weiters veröffentlichte das Stadtmuseum in Zusammenarbeit mit dem Historischen Archiv des Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren das Gedenkbuch Später wurde darüber in der Familie nicht gesprochen. Gedenkbuch für die Kaufbeurer Opfer der NS-Euthanasie.
Stolpersteine in Kaufbeuren
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Stolperstein | Inschrift | Standort | Name, Leben |
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HIER ARBEITETE ERNST BUXBAUM JG. 1897 ′SCHUTZHAFT′ 1938 DACHAU ENTLASSEN 1939 GEDEMÜTIGT / ENTRECHTET FLUCHT IN DEN TOD 19.4.1940 |
Schmiedgasse 2 |
Ernst Buxbaum, geboren am 1. Dezember 1897 in Ernsbach (Württemberg), war ein jüdischer Kaufmann. Gemeinsam mit seinem Bruder Oskar eröffnete er 1924 in der Schmiedgasse 2 in Kaufbeuren ein Geschäft für Textilien, Kurz-, Weiß- und Wollwaren sowie Damenkonfektion, das er ab 1930 allein weiterführte. Das Geschäft florierte, und 1933 beschäftigte Buxbaum fünf weibliche Angestellte.
Ab 1933 war Buxbaum zunehmenden Schikanen der Nationalsozialisten ausgesetzt, die zu Boykott, Zerstörung und Enteignung jüdischer Geschäfte führten. 1936 musste er in ein kleineres Ladenlokal im Rosental umziehen, da die Stadt Kaufbeuren seinen Mietvertrag nicht verlängerte. Im Oktober 1938 wurde er wegen angeblicher „Rassenschande“ angezeigt und verhaftet, kam jedoch trotz eingestelltem Verfahren am 12. November 1938 ins Konzentrationslager Dachau, wo er bis zum 6. Februar 1939 inhaftiert war. Nach seiner Entlassung lebte er bei seinem Bruder Emil in München und nahm sich am 19. April 1940 im Alter von 43 Jahren das Leben. Seine Familie erklärte später, er sei dem Verfolgungsdruck durch die Nationalsozialisten nicht mehr gewachsen gewesen.[4] | |
ESPACHSTRASSE 17 WOHNTE MARIE ESPERMÜLLER JG. 1893 EINGEWIESEN 1924 ANSTALT KAUFBEUREN–IRSEE ′VERLEGT′ JUNI 1941 HARTHEIM ERMORDET AM TAG DER ANKUNFT ′AKTION T4′ |
Espachstraße 17 |
Marie Espermüller(1893–1941) In der Espachstraße 17 erinnert ein Stolperstein an Marie Espermüller, die im Rahmen der NS-"Euthanasie" ermordet wurde. An der Adresse befand sich das heute nicht mehr erhaltene Wohnhaus ihrer Familie.
Marie Espermüller wurde am 19.11.1893 in Kaufbeuren geboren. Sie wuchs in der Familie des Sägewerkbesitzers Fritz Espermüller gemeinsam mit zwei Brüdern und einer Schwester auf. Nach einem Unfall auf der Schaukel im Kindesalter galt sie als „Sorgenkind“ der Familie und wurde aufgrund einer geistigen Behinderung im Alter von 30 Jahren am 25. April 1924 in die Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren eingewiesen. Laut den Aufzeichnungen ihres Bruders in der Familienchronik wurde Marie in der Heil- und Pflegeanstalt „nett untergebracht“, befreundete sich mit anderen Patientinnen, wurde regelmäßig besucht und mit Essen versorgt. 1941 jedoch bekam die Familie Espermüller die plötzliche Nachricht von der Überführung ihrer Tochter bzw. Schwester nach Linz, angeblich, „um einer behördlichen Anordnung genüge zu leisten“. Weiter hieß es, Marie sei „gut untergebracht“ und man habe „nichts zu befürchten“. Trotzdem hatten die Angehörigen ein schlechtes Gefühl – zu Recht: In Wahrheit war die Patientin mit 70 anderen Frauen am 5. Juni 1941 im Zuge der geheimen „Aktion T4“ in die Tötungsanstalt Schloss Hartheim bei Linz deportiert worden, wo sie kurz nach ihrer Ankunft mit Kohlenmonoxid vergast wurde. Wenige Tage nach der Nachricht über die Verlegung Maries erhielt ihre Familie die Mitteilung, dass sie verstorben sei. Als Todesursache wurde Miliartuberkulose genannt. Trotz mehrmaliger Rückfragen seitens der Familie Espermüller an den damaligen Anstaltsleiter der Kaufbeurer Heil- und Pflegeanstalt, Valentin Faltlhauser, gab es nur ausweichende Antworten und so blieb der tatsächliche Grund für den Tod Marie Espermüllers lange Zeit im Unklaren. Marie Espermüller ist eine von 21 Kaufbeurerinnen und Kaufbeurern, die in der hiesigen Heil- und Pflegeanstalt im Rahmen des NS-"Euthanasie"-Programms "Aktion T4" ermordet wurden. Insgesamt wurden 687 Kaufbeurer Patientinnen und Patienten zwischen 1940 und 1941 in Tötungsanstalten verlegt und kamen dabei ums Leben. | |
HIER WOHNTE LEO LUTZ JG. 1904 IM WIDERSTAND / KPD VERHAFTET 1936 'VORBEREITUNG HOCHVERRAT' ZUCHTHAUS KAISHEIM 1942 DACHAU / ALLACH BEFREIT |
Kaiser-Max-Straße 38 | Leo Lutz (1904–1988)[5] | |
HIER WOHNTE MICHAEL RAUCH JG. 1894 IM WIDERSTAND / KPD 'SCHUTZHAFT' 1933 DACHAU VERHAFTET 1936 'VORBEREITUNG HOCHVERRAT' ZUCHTHAUS KAISHEIM 1941 DACHAU / ALLACH BEFREIT |
Baumgarten 18 | Michael Rauch (1894–1984) | |
HIER WOHNTE GEORG RIEDEL JG. 1897 IM WIDERSTAND / SPD ′SCHUTZHAFT′ 1937 DACHAU FLUCHT IN DEN TOD 12.7.1938 DACHAU |
Ledergasse 11 |
Georg Riedel (1897–1938) | |
HIER WOHNTE CLEMENS SAILER JG. 1903 IM WIDERSTAND / KPD VERHAFTET 1936 'VORBEREITUNG HOCHVERRAT' ZUCHTHAUS AMBERG 1943 ENTLASSEN EINGEZOGEN BEWÄHRUNGSBATTAILON |
Forettle 7 | Klemens Sailer, geboren am 24. Oktober 1903 in Höchstädt an der Donau, war Bäcker. Er war verheiratet und hatte vier Kinder. Er schloss sich der KPD an und agierte als Widerstandskämpfer. Gemeinsam mit 17 weiteren Personen aus Kaufbeuren wurde er am 30. Juni 1936 verhaftet und 1937 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ angeklagt. Für seine politische Tätigkeit im Untergrund musste er sieben Jahre im Zuchthaus Amberg verbüßen. Danach war er als Strafsoldat in einem Bewährungsbataillon eingesetzt. Er überlebte den Krieg und kehrte im Januar 1947 aus britischer Kriegsgefangenschaft zurück. Klemens Sailer starb 1972 in Kaufbeuren.[6] | |
HIER WOHNTE JOHANN SCHAUDIG JG. 1905 IM WIDERSTAND / KPD 'SCHUTZHAFT' 1933 DACHAU VERHAFTET 1936 'VORBEREITUNG HOCHVERRAT' ZUCHTHAUS KAISHEIM 1941 DACHAU / BAD TÖLZ FLUCHT IN DEN TOD 21. APRIL 1942 |
Müllergäßchen 3 | Johann Schaudig (1905–1943) | |
HIER WOHNTE JOHANN SCHMID JG. 1907 IM WIDERSTAND / KPD 'SCHUTZHAFT' 1933 DACHAU VERHAFTET 1936 'VORBEREITUNG HOCHVERRAT' ZUCHTHAUS KAISHEIM 1941 FLOSSENBÜRG ERMORDET 21.12.1942 |
Johannes-Haag-Straße 6 | Johann Schmid (1907–1942) | |
HIER WOHNTE KAROLINA SCHMID JG. 1911 VERH. TRIMMEL IM WIDERSTAND / KPD VERHAFTET 1936 'VORBEREITUNG HOCHVERRAT' 1937 MORINGEN LICHTENBURG / PRETTIN ENTLASSEN 1939 |
Johannes-Haag-Straße 6 | Karolina Schmid (1911–1990) | |
HIER ARBEITETE STEFAN SMIGLARSKI JG. 1924 POLEN SEIT 1939 ZWANGSARBEIT VERHAFTET 1943 ′ARBEITSSTÄTTE VERLASSEN′ GEHÄNGT 22.11.1943 WEINHALDE KAUFBEUREN |
Neue Gasse 28 |
Stefan Smiglarski (1924–1943) |
Verlegedaten und -orte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- 26. September 2020: Espachstraße 17, Ledergasse 11, Neue Gasse 28, Schmiedgasse 2
- 21. März 2023: Baumgarten 18, Forettle 7, Johannes-Haag-Straße 6, Kaiser-Max-Straße 38, Müllergäßchen 3
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Michael von Cranach, Petra Schweizer-Martinschek, Petra Weber: Später wurde in der Familie darüber nicht gesprochen. Gedenkbuch für die Kaufbeurer Opfer der nationalsozialistischen "Euthanasie"-Verbrechen. Hrsg.: Bezirk Schwaben, Bezirkskliniken Schwaben, Stadt Kaufbeuren, Stadtmuseum Kaufbeuren. Verlag Ph. C. W. Schmidt, Neustadt an der Aisch 2020, ISBN 978-3-87707-194-6.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Alexander Vucko: Stolpersteine für die Herzen. In: Allgäuer Zeitung. 28. September 2020 (online [PDF]).
- ↑ Ingrid Zasche: Künstler Gunter Demnig verlegt vier „Stolpersteine“ in der Kaufbeurer Altstadt. In: Kreisbote. 28. September 2020 (online).
- ↑ Erstmals „Stolpersteine“ in Kaufbeuren. In: Stadt Kaufbeuren. 12. September 2020, abgerufen am 8. Oktober 2020.
- ↑ Stadt Kaufbeuren - Ernst Buxbaum, Ernst Buxbaum. Abgerufen am 12. November 2024.
- ↑ Münchner Merkur: Kaufbeuren: Gedenken an sechs NS-Verfolgte aus dem kommunistischen Widerstand, 29. März 2023.
- ↑ Stolperstein Klemens Sailer, abgerufen am 1. Juli 2024.