Wanderer-Werke

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Wanderer-Werke AG

Logo
Rechtsform Aktiengesellschaft i. L.
Gründung 1885 in Schönau
Auflösung Juli 2010
Auflösungsgrund Insolvenz
Sitz Augsburg, Deutschland
Leitung
  • Oliver Bialowons
    (Sprecher des Vorstands)
  • Gerhard Schmidt
    (Mitglied des Vorstands)
Mitarbeiterzahl 4.415 (Jahresdurchschnitt 2007)[1]
Umsatz 577,7 Mio. Euro (2007)
Branche Fahrradhersteller, Kraftfahrzeughersteller, Bürogerätehersteller
Website Marke Wanderer
Wanderer-Anzeige 1898

Die Wanderer-Werke waren ein bedeutender deutscher Hersteller von Fahrrädern, Motorrädern, Autos, Lieferwagen, Werkzeugmaschinen und Büromaschinen, der im Jahr 1885 in Chemnitz gegründet wurde. Den Namen „Wanderer“ bezogen die beiden Firmengründer Winklhofer und Jaenicke aus der Übersetzung der Bezeichnung „Rover“, die der Engländer John Kemp Starley seinen Fahrrädern gegeben hatte.

Die Automobilsparte wurde 1932 in die Auto Union AG eingebracht. Während des Zweiten Weltkriegs wurden bei Wanderer in Siegmar-Schönau auch Rüstungsgüter unter dem Fertigungskennzeichen cxo produziert, darunter das Schlüsselgerät 41.[2] Nach dem Krieg wurden die Chemnitzer Wanderer-Werke enteignet, zerschlagen und die einzelnen Betriebsteile unter verschiedenen Namen fortgeführt (Fritz-Heckert-Werk, Astrawerk/Ascota, Elrema).

In der Bundesrepublik war die Wanderer-Werke AG zuletzt als Finanzholding ohne eigenen Geschäftsbetrieb tätig und ging im Juli 2010 in die Insolvenz. Die Marke Wanderer wurde daraufhin von dem in Köln ansässigen Fahrradhersteller ZEG erworben.[3]

Geschichte bis 1945

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

1885: Beginn der Fahrradherstellung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Anfänge von Wanderer gehen bis in das Jahr 1885 zurück. In diesem Jahr gründeten Johann Baptist Winklhofer und Richard Adolf Jaenicke in Chemnitz die am 26. Februar 1885 ins Handelsregister eingetragene Gesellschaft „Chemnitzer Velociped-Depôt Winklhofer & Jaenicke“ zum Verkauf und zur Reparatur von Fahrrädern. Die Fahrräder bezogen sie zunächst aus England.[4] Wenig später fertigten sie bereits einige Hochräder selbst an und ab dem Winter 1885/1886 wurde eine fabrikmäßige Herstellung vorbereitet. Winklhofer und Jaenicke firmierten daher ab 4. Januar 1887 als „Chemnitzer Veloziped-Fabrik Winklhofer & Jaenicke“.

Aktie über 1000 RM der Wanderer-Werke AG vom Mai 1942
Wanderer-Werke in Schönau bei Chemnitz (1920)
Hinterhof der Wanderer-Werke (2011)

1894 erwarben Winklhofer und Jaenicke ein Areal von 19.000 m² in Schönau bei Chemnitz und bauten dort ein Verwaltungs- und Lagerhaus mit 52 Metern Front, einen Shedbau mit 2.500 Quadratmetern Nutzfläche, ein Maschinenhaus, ein Kesselhaus, einen Stall und eine Wagenremise. Für sich selbst ließen die Unternehmer gegenüber ein Doppelwohnhaus errichten. 1896 erfolgte die Umfirmierung in die „Wanderer Fahrradwerke AG“.[5] Danach zog sich Jaenicke ins Privatleben zurück.[4] In dieser Zeit war ein gekapselter Kardanantrieb im Rahmen des Fahrrades geplant, der jedoch nicht verwirklicht wurde; den Kardanantrieb im Automobilbau führte 1898 Renault ein. Um 1900 war Wanderer zu einem bedeutenden Unternehmen auf dem Fahrradmarkt geworden und hielt verschiedene Patente, unter anderem für die erste deutsche Zweigang-Nabenschaltung.[6][7]

Ausweitung der Produktion auf Werkzeugmaschinen, Motorräder, Schreibmaschinen und anderes

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ab 1899 begann Wanderer mit der Serienproduktion von Fräsmaschinen.[8] Dieser Schritt war maßgeblich dadurch motiviert, dass die zur damaligen Zeit auf dem Markt verfügbaren Fräsmaschinen nicht die Genauigkeitsanforderungen Winklhofers und Jaenickes erfüllten.

Das erste Motorrad wurde 1902 gebaut, der Einzylindermotor des Modells besaß als Besonderheit einlassseitig ein sogenanntes Schnüffelventil, welches durch Federdruck dauernd beaufschlagt über den vom abwärtsgehenden Kolben erzeugten Unterdruck im Zylinder öffnete.[5] Die Produktionsanlagen zur Herstellung der Wanderer K 500 wurden 1929 an die Waffenfabrik Janeček abgegeben, wo sich daraufhin der Motorradhersteller Jawa herausbildete. Leichtmotorräder und Fahrradhilfsmotorradmodelle mit acht Motortypen von DKW, Ilo und Fichtel & Sachs, Anhänger und „Leichtseitenwagen“ blieben weiter im Programm.[9]

1903/1904 begann die Serienproduktion von Schreibmaschinen unter der Marke Continental und 1909 die von Additions- bzw. Zweispeziesrechenmaschinen.

Wanderer „Continental“ Schreibmaschine
Anstecknadel mit Logo der Firma Wanderer-Auszeichnung für Mitarbeiter in den 1930er Jahren

Die Wanderer-Werke selbst konzentrierten sich sehr erfolgreich auf die Produktion hochwertiger Werkzeugmaschinen, Schreibmaschinen, Rechenmaschinen und Fahrräder. Das Radsportteam des Unternehmens konnte viele sportliche Erfolge erringen. Die fast lautlos arbeitende Schreibmaschine Wanderer Continental silenta war mit ihrem speziellen Hebelwerk weltweit konkurrenzlos.

Vier Marken und vier ineinander verschlungene Ringe

Die Marken der Auto Union AG

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Pläne für den Automobilbau datieren auf das Jahr 1903, in welchem der Ingenieur Eugen Buschmann den Auftrag zur Konstruktion eines Kleinwagens erhielt, welcher ca. 12 PS leisten und über einen Kardanantrieb verfügen sollte.[5] 1905 entstand der erste Auto-Prototyp Wanderermobil, 1907 folgte der zweite, ein Modell mit Vierzylindermotor und Wasserkühlung[5]; 1911 wurde auf dem Berliner Autosalon dann der Wanderer 5/12 PS Typ W 1 gezeigt. Ein Jahr zuvor hatte man Kontakt zu Ettore Bugatti aufgebaut, allerdings ohne die Zusammenarbeit fortzusetzen.[5] 1913 konnte die Automobil-Serienproduktion aufgenommen werden. „Wir hatten einen ganz niedlichen, kleinen Wagen im Auge, kleiner als alle bisher gebauten Wagen, niedrig im Anschaffungspreis, sparsam im Benzin-, Gummi- und Ölverbrauch, anspruchslos im Platzbedarf, aber großen Wagen gleich an Schnelligkeit und im Nehmen von Steigungen“, schrieb Winklhofer später.

In Anlehnung an die im selben Jahr in Berlin uraufgeführte Operette Puppchen von Jean Gilbert wurde das zierliche Auto (1,5 m breit, 3 m lang) nach einer Aufführung in Chemnitz vom Volksmund Puppchen genannt. Das schmale Auto besaß Plätze für zwei Personen, die hintereinander saßen, eine Leistung von 12 PS, erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h und kostete 3800 Mark.[5] Bereits 1913 kam die Weiterentwicklung zum W 2, der 15 PS leistete. Die weitere Entwicklung ging bis zum W 8 5/20 PS 1926/1927. Zur Ausweitung der Autoproduktion baute Wanderer ein weiteres Werk im Chemnitzer Vorort Siegmar, das 1927 die Produktion aufnahm. In Fließfertigung konnte man 25 Fahrzeuge pro Tag produzieren.[5] Für den Nachfolger des Puppchen wurde 1930 bei Ferdinand Porsche in Stuttgart die Konstruktion eines Sechszylinder- und zweier Achtzylinder-Motoren in Auftrag gegeben. Nur der Sechszylinder debütierte 1931 im W 14 12/65 PS mit einem Dreiliter-Leichtmetallmotor, denn Probleme des Unternehmens ließen es von der Fahrzeugproduktion abrücken. Auch auf Druck der Dresdner Bank, die Wanderer Kredite über fünf Millionen Reichsmark gewährt hatte, verkaufte Wanderer Lizenzen für die schweren Motorräder an den tschechischen Ingenieur František Janeček, der damit die Motorradmarke Jawa gründete, und schloss Mitte 1932 mit der auf Bestreben der Sächsischen Landesbank gegründeten Auto Union AG einen Kauf- und Pachtvertrag für das moderne Wanderer-Fahrzeugwerk in Siegmar ab. Der Auto-Union-Konzern produzierte neben Audi, DKW und Horch weiter Kfz der Mittelklasse unter der Marke Wanderer.

Unter Führung der Auto Union kam 1933 der W 21, ein direkter Konkurrent des Mercedes-Benz 170, auf den Markt. Insgesamt bot die Marke Wanderer ab diesem Jahr eine breitgefächerte Modellpalette von sechs Karosserien mit drei Motoren an. Vom erfolgreichsten Modell Wanderer W 24 wurden von 1937 bis 1940 rund 22.500 Exemplare hergestellt. Eine Besonderheit mehrerer Wanderer-Modelle war in der damaligen Zeit eine geteilte Windschutzscheibe.

Neuzulassungen von Wanderer-Pkw im Deutschen Reich von 1933 bis 1938

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Wanderer W 23 (Baujahr 1939) bei der Rallye „ADAC Mittelrhein Classic“ 2014
Jahr Zulassungszahlen[10] Produktionszahlen
1933 4265 3975[11]
1934 5155
1935 7169
1936 8086
1937 9840
1938 8790

Sportwagen für die Fernfahrt Lüttich–Rom–Lüttich

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Wanderer Stromlinie Spezial 2013 im museum mobile in Ingolstadt

In den Jahren 1938 und 1939 beteiligte sich die Auto Union mit vier als Wanderer Stromlinie Spezial bezeichneten Sportwagen an der Fernfahrt Lüttich–Rom–Lüttich und wurde bei dem zweiten Einsatz Mannschaftssieger. Die Fahrer waren Momberger/Weidauer und Müller/Menz, die punktgleich Platz vier belegten, und Trägner/Fritz­sching auf Platz zwölf. Damit gewann die Auto Union den „Coupe des Constructeurs“, die Markenwertung. 1938 waren Krämer/Münzert 30 Kilometer vor dem Ziel mit einem Schaden an der Nockenwelle ausgeschieden.[12]

Die für diesen Wettbewerb gebauten Fahrzeuge waren zweisitzige Roadster mit Aluminium-Karosserien auf dem Fahrwerk des Wanderer W 25. Sie hatten 6-Zylinder-Motoren mit zwei Liter Hubraum und einer Leistung von 70 PS bei 4800/min, ein nicht synchronisiertes Vierganggetriebe mit zuschaltbarem Schnellgang und Hinter­rad­antrieb. Die Wagen waren etwa 4,35 Meter lang, 1,65 Meter breit und 1,28 Meter hoch, das Leergewicht betrug rund 900 Kilogramm. Die Höchst­geschwindig­keit lag bei 160 Kilometer pro Stunde.

Wahrscheinlich überdauerte keiner der vier Wagen den Krieg. Die drei Stromlinien-Wanderer, die in Museen oder bei Oldtimerveranstaltungen gezeigt werden, sind Nach­bauten unter Verwendung von Motoren und Fahrwerken alter Wanderer-Limousinen. Die Karosserien wurden anhand von Fotos rekonstruiert; Konstruktions­zeichnungen, auf die hätte zurückgegriffen werden können, gibt es nicht mehr. Ein Zugeständnis an die neue Zeit ist das vollsynchronisierte Fünfganggetriebe der Replikate.[13]

Vom 20. bis 26. Juni 2004 nahmen auch die Originalnachbauten der Audi Tradition an der Fernfahrt Lüttich–Rom–Lüttich teil.[12]

Übersicht Automobile

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Zeitleiste der Wanderer-Automobile von 1912 bis 1941
Klasse 1932: Gründung der Auto Union AG
1910er 1920er 1930er 1940er
2 3 4 5 6 7 8 9 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 1
Kleinwagen W 1, W 2, W 3, W 4, W 8
Puppchen
Untere Mittelklasse W 6, W 9
Mittelklasse W 10 W 15, W 17, W 20 W 21, W 235/W 35 W 24
W 22, W 240/W 40
Obere Mittelklasse W 11
W 245/W 45, W 250/W 50, W 51 W 23, W 26, W 52
Sportwagen W 14 W 25 K, W 25
Kübelwagen W 11
Logo des Unternehmens Wanderer
Wanderer-Stand auf der 22. Internationalen Automobil-
ausstellung
Berlin 1931
Typ Bauzeitraum Motorbauform Hubraum Leistung Höchstgeschwindigkeit
W 1 (5/12 PS) „Puppchen“ 1912–1913 R4 1147 cm³ 12 PS (8,8 kW) 70 km/h
W 2 (5/15 PS) „Puppchen“ 1913–1914 R4 1222 cm³ 15 PS (11 kW) 70 km/h
W 3 (5/15 PS) „Puppchen“ 1914–1919 R4 1286 cm³ 15 PS (11 kW) 70 km/h
W 4 (5/15 PS) „Puppchen“ 1919–1924 R4 1306 cm³ 17 PS (12,5 kW) 78 km/h
W 6 (6/18 PS) 1921–1923 R4 1551 cm³ 18 PS (13,2 kW) 80 km/h
W 9 (6/24 PS) 1923–1925 R4 1551 cm³ 24 PS (17,7 kW) 85 km/h
W 8 (5/20 PS) „Puppchen“ 1925–1926 R4 1306 cm³ 20 PS (14,7 kW) 78 km/h
W 10/I (6/30 PS) 1926–1928 R4 1551 cm³ 30 PS (22,1 kW) 85 km/h
W 10/II (8/40 PS) 1927–1929 R4 1940 cm³ 40 PS (29,4 kW) 95 km/h
W 11 (10/50 PS) 1928–1930 R6 2540 cm³ 50 PS (36,8 kW) 90 km/h
W 10/IV (6/30 PS) 1930–1932 R4 1563 cm³ 30 PS (22,1 kW) 85 km/h
W 11 (10/50 PS) 1930–1933 R6 2540 cm³ 50 PS (36,8 kW) 97 km/h
W 14 (12/65 PS) 1931–1932 R6 2970–2995 cm³ 65 PS (47,8 kW) 105 km/h
W 15 (6/30 PS) 1932 R4 1563 cm³ 30 PS (22,1 kW) 85 km/h
W 17 (7/35 PS) 1932–1933 R6 1690 cm³ 35 PS (25,7 kW) 90 km/h
W 20 (8/40 PS) 1932–1933 R6 1950 cm³ 40 PS (29,4 kW) 95 km/h
W 21 / W 235 / W 35 1933–1936 R6 1690 cm³ 35 PS (25,7 kW) 95 km/h
W 22 / W 240 / W 40 1933–1938 R6 1950 cm³ 40 PS (29,4 kW) 100 km/h
W 245 / W 250 1935 R6 2257 cm³ 50 PS (36,8 kW) 100–105 km/h
W 45 / W 50 / W 51 Spezial 1936–1938 R6 2257 cm³ 55 PS (40,5 kW) 100–105 km/h
W 25 K 1936–1938 R6 1950 cm³ 85 PS (62,5 kW) 145 km/h
W 52 1937 R6 2651 cm³ 62 PS (45,6 kW) 115 km/h
W 24 1937–1940 R4 1767 cm³ 42 PS (30,9 kW) 105 km/h
W 26 1937–1940 R6 2651 cm³ 62 PS (45,6 kW) 115 km/h
W 23 1937–1941 R6 2651 cm³ 62 PS (45,6 kW) 105 km/h

Firmengeschichte ab 1945

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Enteignung und Zerschlagung im Osten

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Fritz-Heckert-Werk (1963)
Flugzeugmotor aus dem VEB Industriewerke Karl-Marx-Stadt (ehemals Wanderer) in Schönau

Nach dem Krieg kam es am 30. Juni 1946 zu dem von der sowjetischen Besatzungsmacht wohlwollend geduldeten Volksentscheid über die Enteignung von Kriegs- und Naziverbrechern. Aufgrund dieses Volksentscheids wurden sowohl die Wanderer-Werke als auch die Auto Union enteignet und bis 1948 teilweise demontiert und als Reparationsleistungen in die Sowjetunion verbracht. Anschließend wurden die Werke zerschlagen und als Volkseigene Betriebe (VEB) neu geordnet:

  • Das Autowerk in Siegmar wurde dem Industrieverband Fahrzeugbau (IFA) zugeordnet und ging später in den VEB Barkas-Werken auf (heute VW-Motorenwerk Chemnitz).
  • Der Werkzeugmaschinenbereich wurde zunächst als VEB Wanderer-Fräsmaschinenbau weitergeführt, 1951 in VEB Fritz-Heckert-Werk umbenannt und später zum Stammbetrieb des VEB Werkzeugmaschinenkombinat „Fritz-Heckert“ (heute Starrag Group).[14]
  • Die wechselvollste Geschichte hatte der Büromaschinenbetrieb in Schönau: Er wurde zunächst zum VEB Wanderer-Continental Büromaschinenwerk unter dem Dach der VVB Mechanik. 1953 wurde er mit der ehemaligen Astrawerke AG zum VEB Büromaschinen Chemnitz fusioniert, zwei Jahre später aber schon wieder als VEB Industriewerke Karl-Marx-Stadt ausgegliedert und mit der Produktion von Flugzeugmotoren beauftragt. Die Produktion von Schreibmaschinen wurde an das Optima Büromaschinenwerk Erfurt abgegeben, Rechen- und Buchungsmaschinen wurden fortan im VEB Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt (vormals Astrawerke) weiterentwickelt und hergestellt. Nach dem plötzlichen Ende des DDR-eigenen Flugzeugbaus 1961 fertigte man im Industriewerk Hydraulikpumpen und Motoren für die Fahrzeugindustrie. Ein kleiner Teil überlebte die Wiedervereinigung als Sachsenhydraulik GmbH und ging später an den US-Konzern Parker-Hannifin.[15]

Neuanfang in Westdeutschland

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Wanderer-Herren-Fahrrad, Baujahr 2004

Als Folge von Enteignung und Verstaatlichung in der Sowjetischen Besatzungszone führten Eigentümer und Manager der Wanderer-Werke das Unternehmen in Westdeutschland fort. So tagte im Jahr 1948 in München eine außerordentliche Hauptversammlung der Wanderer-Werke AG und beschloss, den Sitz der Gesellschaft von Chemnitz nach München zu verlegen. Ab 1949 wurden wieder Fahrräder und Mopeds gehandelt, hergestellt von den Meister-Werken in Bielefeld. Bis 1958 gab es Wanderer-Mopeds mit Sachs- und Ilo-Einbaumotoren[9], u. a. die Modelle Standard und Telex. Daraus entwickelte sich die Wanderer-Werke AG; die Automobilproduktion wurde nicht wieder aufgenommen.

In den 1950er Jahren setzte Wanderer die Tradition als Büromaschinenhersteller fort. Das Unternehmen beteiligte sich 1953 zunächst zu 50 % an der Exacta Büromaschinen GmbH und späteren Exacta Continental GmbH in Köln. 1960 folgten die restlichen 50 %. Damit war Wanderer der damals größte westdeutsche Büromaschinenproduzent.

Um mit der rasanten Entwicklung des modernen Informatik Schritt halten zu können, hatte Wanderer einen elektronischen und druckenden Tischrechner, die Wanderer Logatronic, genannt CONTI für die Mittlere Datentechnik entworfen, dessen Elektronik Wanderer beim Computerpionier Heinz Nixdorf entwickeln ließ. Infolge einer Unternehmenskrise wurde das Unternehmen 1967/8 schließlich an Nixdorf verkauft und bildete von nun an den industriellen Kern der Nixdorf Computer AG. Entwicklung und Verkauf des Elektronischen Tischrechners CONTI wurde nach der Übernahme durch Nixdorf eingestellt.

Holding und Insolvenz

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Reiserad aufgebaut auf Wanderer-Rahmen, 2006

Fahrräder mit dem Markennamen „Wanderer“ wurden seit 1998 wieder hergestellt. Seit 2006 geschah dies unter Federführung der Zwei plus zwei GmbH (Heute: Croozer GmbH) in Köln. Dort wurden die Fahrräder entwickelt, in Deutschland hergestellt und von ausgewählten Fachhändlern vertrieben. Die Wanderer-Werke AG traten dabei lediglich als Lizenzgeber für den Markennamen auf.

Ansonsten stellte sich die Wanderer-Werke AG 2008 als Finanzholding ohne eigenen Geschäftsbetrieb mit den Sparten Poststellen-Verwaltung (engl. „mailroom management“) (über eine 50,1-%-Beteiligung an der börsennotierten Böwe-Systec-Gruppe), Kraftfahrzeugteile (Carl Kittel Autoteile GmbH, Kittel Supplier GmbH) und Verpackungsmaterialien (Karl Fislage GmbH & Co. KG, Merseburger Verpackung GmbH) dar. Zuletzt wurde der Konzern über zwei Jahrzehnte von Claus Gerckens geführt.[16]

Als sehr schwierig erwies es sich, dass große Teile des Unternehmens auf Kredit finanziert worden waren. Die Kredite wurden nicht nur von Banken, sondern auch zwischen den Unternehmenstöchtern vergeben. Als die Sparte Kraftfahrzeugteile im Zuge der Absatzkrise der Automobilindustrie hohe Verluste einfuhr und sich gleichzeitig die Übernahme des US-Konkurrenten Bell & Howell durch die Böwe-Systec-Gruppe als Fehlinvestition herausstellte, ließen sich die Defizite nicht mehr auffangen, und die Wanderer-Gruppe brach Stück für Stück zusammen.[17][18][19] Das Insolvenzverfahren wurde im Juli 2010 eröffnet. Während die Sparte Verpackungen noch über ein Management-Buy-Out an eine Investorengemeinschaft[20] und Böwe Systec an die Possehl-Gruppe[21] verkauft werden konnten, musste der Bereich Kraftfahrzeugteile mit seinen rund 500 Mitarbeitern gänzlich schließen.[22] Nur die Fahrräder wurden bis März 2013 noch unter dem Markennamen Wanderer produziert, zuletzt von der Zwei plus zwei GmbH. Seit 2017 gehört die Domain www.wanderer.de der Hercules GmbH aus Köln, die weiterhin unter dem Markennamen Wanderer Fahrräder vertreibt.

  • Gerhard Mirsching: Wanderer. Die Geschichte des Hauses Wanderer und seine Automobile. Verlag Uhle & Kleimann, Lübbecke 1981, ISBN 3-922657-13-3.
  • Hans-Christian Schink, Tilo Richter: Industriearchitektur in Chemnitz 1890–1930. Thom-Verlag, Leipzig 1995, ISBN 3-930383-10-1.
  • Thomas Erdmann: Wanderer Automobile. Verlag Delius Klasing, Bielefeld 2008, ISBN 978-3-7688-2522-1.
  • Jörg Feldkamp, Achim Dresler (Hrsg.): 120 Jahre Wanderer 1885–2005. Ein Unternehmen aus Chemnitz und seine Geschichte in der aktuellen Forschung. Zweckverband Sächsisches Industriemuseum, Chemnitz 2005, ISBN 3-934512-13-5.
  • Heiner Matthes, Jörn Richter (Hrsg.): Siegmar-Schönau. Die Stadt vor der Stadt. Eine Chemnitzer Stadtteilgeschichte zu Siegmar, Schönau, Reichenbrand und Stelzendorf. 2. Auflage. Verlag Heimatland Sachsen, Chemnitz 2004, ISBN 3-910186-42-4.
  • Michael C. Schneider: Unternehmensstrategien zwischen Weltwirtschaftskrise und Kriegswirtschaft. Chemnitzer Maschinenbauindustrie in der NS-Zeit 1933–1945, Klartext Verlag Essen 2005 (= Bochumer Schriften zur Unternehmens- und Industriegeschichte, 14), ISBN 3-89861-372-0.
Commons: Wanderer-Werke AG – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Geschäftsbericht 2007 der Wanderer Werke AG
  2. Schlüsselgerät 41 im Crypto Museum (englisch), abgerufen am 20. August 2021.
  3. ZEG Zweirad-Einkaufs-Genossenschaft eG. Abgerufen am 18. Juni 2021.
  4. a b Karl Reese: Motorräder aus Sachsen. Johann Kleine Vennekate, Lemgo 2008, ISBN 978-3-935517-38-6 (falsch im Buch: 978-3-935517-37-9), Seite 132. DNB 987833448.
  5. a b c d e f g Immo Sievers: 100 Jahre Wanderer. In: ATZ Automobiltechnische Zeitschrift. Vieweg-Verlag, Wiesbaden Oktober 2005, S. 904 ff.
  6. Patent DE131486C: Hinterradnabe mit Freilauf, Bremsvorrichtung und mit mehreren Übersetzungen. Angemeldet am 7. August 1901, veröffentlicht am 10. Juni 1902, Anmelder: Wanderer Fahrradwerke.
  7. Patent AT11449B: Antriebsvorrichtung für Fahrräder mit veränderlicher Übersetzung und mit Kupplungsvorrichtung für den Freilauf und Rücktrittbremse. Angemeldet am 17. Januar 1902, veröffentlicht am 10. April 1903, Anmelder: Wanderer Fahrradwerke.
  8. StarragHeckert: Historie. Archiviert vom Original am 24. August 2011; abgerufen am 15. Juli 2011.
  9. a b Karl Reese: Motorräder aus Sachsen. Johann Kleine Vennekate, Lemgo 2008, ISBN 978-3-935517-38-6, Seite 144. DNB 987833448.
  10. Hans Christoph von Seherr-Thoss: Die deutsche Automobilindustrie. Eine Dokumentation von 1886 bis heute. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1974, ISBN 3-421-02284-4, S. 328.
  11. Englebert: Produktionszahlen 1933. 1. Januar 1934, S. 7, abgerufen am 6. Mai 2023 (französisch).
  12. a b Classicdriver. Wanderer Stromlinie Spezial bei Lüttich–Rom–Lüttich. Abgerufen am 15. Oktober 2019.
  13. auto motor und sport. Wanderer W 25 Stromlinie im Fahrbericht. Abgerufen am 14. Oktober 2019.
  14. Frank Harreck-Haase: Historisches Chemnitz – Die Wanderer-Werke / Fritz-Heckert-Kombinat. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 27. März 2012; abgerufen am 31. August 2017.
  15. Frank Harreck-Haase: Historisches Chemnitz – Die Wanderer-Werke / VEB Industriewerke Karl-Marx-Stadt. Abgerufen am 31. August 2017.
  16. Wanderer Werke insolvent – Ungewissheit bei Böwe Systec. 19. Mai 2010, abgerufen am 28. Dezember 2012.
  17. Wanderer-Werke AG: Vorläufige Insolvenzverwaltung über die Kittel Supplier GmbH angeordnet, DGAP-Adhoc, 20. Dezember 2008.
  18. Wanderer-Werke AG: Insolvenz. 14. Mai 2010, abgerufen am 28. Dezember 2012.
  19. BÖWE Systec AG stellt Insolvenzantrag. insolvenz-ratgeber.de, 21. Mai 2010, abgerufen am 26. Juni 2011.
  20. Wanderer-Werke AG: Verkauf Fislage. 4. August 2010, abgerufen am 28. Dezember 2012.
  21. Die Rettung für BÖWE Systec: Possehl Gruppe. 16. November 2010, abgerufen am 28. Dezember 2012.
  22. Autozulieferer Kittel muss Betrieb einstellen. 31. März 2009, abgerufen am 28. Dezember 2012.

Koordinaten: 50° 49′ 14,1″ N, 12° 52′ 58,8″ O