Etwa drei Viertel des Territoriums des Hochstift Hildesheims, oder 19 von 23 Ämtern, gingen im Jahr 1523 infolge der Hildesheimer Stiftsfehde an die feindlichen welfischen Nachbarn Braunschweig und Hannover verloren. Erst im Jahr 1643, nach 120 Jahren, kam es nach mehreren Prozessen vor dem Reichskammergericht und einer veränderten politischen Lage zu einem Kompromiss und der Rückgabe eines Großteils des verlorenen Gebiets. Die folgenden 160 Jahre bis zur Auflösung des Hochstifts mit den anderen geistlichen Territorien des Heiligen Römischen Reichs, blieb die Anzahl der Gemeinden und ihre Zugehörigkeit zu den Ämtern nahezu unverändert. Das Hochstift Hildesheim konnte in jener Zeit trotz der katholischen Regierung die Rolle einer regionalen Mittelmacht in Norddeutschland zwischen dem Kurfürstentum Hannover und dem Herzogtum Braunschweig ausfüllen. Die meisten unten genannten Gemeinden gehörten auch vor 1523 dem Hochstift Hildesheim an. Dazu kamen die hier nicht aufgeführten Gemeinden von den dauerhaft verlorenen Ämtern.
Nur folgende vier Ämter mit rund 90 Dörfern gehörten auch zwischen 1523 und 1643 zum Hochstift Hildesheim und bildeten das Kleine Stift:
das Amt Gronau wurde erst 1690 aus Stadt und Burg Gronau und einem Teil des Amtes Winzenburg als 16. Amt des Hochstifts konstituiert (zu den Details siehe Amt Gronau)
Die folgende Tabelle listet alle Gemeinden, die dem Hochstift Hildesheim von 1643 bis 1803 angehört haben, ihre damalige Amtszugehörigkeit (Spalte 2), ihre Kreiszugehörigkeit im Jahre 1910 (Spalte 3) und ihre Gemeindezugehörigkeit heute (Spalte 6). Gelistet sind alle kommunalen Einheiten, die Stand 1760 verzeichnet wurden. Dazu zählten Städte, Dörfer und Weiler, aber ggf. auch Einzelhäuser und ähnliche Liegenschaften, wenn sie im zu Grunde liegenden Verzeichnis genannt sind. Die Daten sind entnommen dem Häuser-, Vorspann- und Schatzungs-Castratum vom Stift Hildesheim, um 1760 verfasst, publiziert im Magazin für die neue Historie und Geographie, angelegt von Anton Friedrich Büsching, Halle 1783.[1]
In Spalte 4 ist die Anzahl aller Haushalte im Jahre 1760 verzeichnet, und zwar Freie Häuser, Vollhöfe, Halbspannhöfe, Viertelspännerhöfe, Großköthnerhöfe, Kleinköthnerhöfe und Brinksitzer zusammengenommen (im Original jeweils einzeln aufgeführt). In Spalte 5 ist zum Vergleich die Einwohnerzahl im Jahr 1910 verzeichnet[2], in Spalte 6 die heutige Gemeindezugehörigkeit, in Spalte 7 Anmerkungen, die zumeist auf den Bemerkungen im Original 1760 bei Büsching beruhen.[3][4][5]
Wie oben gesehen, war das Gebiet des Hochstifts Hildesheim zwischen 1523 und 1643 um drei Viertel geschrumpft. Durch die 120-jährige Zugehörigkeit der meisten Ämter zu den lutherischenWelfen-Fürstentümern Braunschweig und Hannover war die Bevölkerung in diesen Ämtern fast ausschließlich lutheranisch. Sogar im beim Hochstift Hildesheim verbleibenden Gebiet (dem Kleinen Stift) gab es weite Landstriche, die lutherisch geworden waren. Dazu gehörten das Amt Peine und einige Gemeinden des Amtes Steuerwald. Die Hildesheimer Bischöfe Balthasar Merklin (1528–1531) und Valentin von Teutleben (1537–1551) suchten das Hochstift Hildesheim nie auf. Dies begünstigte die Ausbreitung der Glaubenslehre Luthers im Kleinen Stift. Im Amt Steuerwald führte Adolf von Holstein, der das Amt in Pfandbesitz hatte, 1556 die lutherische Lehre ein. Erst 16 Jahre später, unter Fürstbischof Ernst von Bayern (1573–1612) setzte im zwischenzeitlich eingelösten Amt die Rekatholisierung ein.
Die Hauptstadt Hildesheim mit ihren alten Sonderrechten gegenüber dem Bischof schloss sich 1542 der Reformation an. Bürgerrechte erhielt fortan nur noch, wer sich zur lutherischen Konfession bekannte.[6] Weil der Stadt Hildesheim das Amt Peine verpfändet war, dominierte auch hier die lutherische Konfession. Die Bemühungen der Jesuiten um eine Förderung der katholischen Konfession wurden vom lutherischen Stadtrat Hildesheims behindert. Die Gründung des Hildesheimer jesuitischen Gymnasiums konnte nur mit Mühe durchgesetzt werden. Die Schule hatte dann wegen ihrer hohen Lehrqualität Anziehungskraft über die Landesgrenzen hinaus.[7]
Nach der Wiederherstellung des alten Hochstifts (dem Großen Stift) 1643 im Hildesheimer Hauptrezeß versuchten einige Fürstbischöfe, eine Hebung des katholischen Bevölkerungsanteils zu erreichen. Besonders der selber aus westfälischem Adel stammende Bischof Jobst Edmund von Brabeck (1688-1702) tat sich hierbei hervor. Hierzu wurden Katholiken aus verschiedenen Gebieten angeworben, vor allem aus Westfalen, Kurköln, dem Hochstift Paderborn, dem Eichsfeld und dem Hochstift Lüttich, die letzten meist Glaubensflüchtlingen aus den protestantisch und niederländisch gewordenen nördlichen Teilen des Herzogtums Brabant. Beamtenstellen wurden fast ausschließlich an Katholiken vergeben, was aber nur selten zu einer Konversion alt-einheimischer Bevölkerung führte. Dazu war das Klima zwischen Lutheranern und Katholiken zu lange vergiftet und voll gegenseitigem Misstrauen. Der Gegner wurde verteufelt, und schlimmste Schmähungen waren an der Tagesordnung. Dies milderte sich erst Ende des 17. Jahrhunderts ab.[8]
Von den 286 Gemeinden, die 1871 auf dem Gebiet des ehemaligen Hochstifts Hildesheim gezählt wurden, waren in 234 Gemeinden Lutheraner in der Mehrheit, in 49 Gemeinden Katholiken. Zu über 90 % lutherisch waren 182 Gemeinden, zu über 90 % katholisch 35 Gemeinden. 69 Gemeinden waren gemischter.[9]
Lediglich in den Ämtern Dompropstei (alle 9 Gemeinden) und Marienburg (9 von 14 Gemeinden) war die einheimische Bevölkerung weitgehend katholisch geblieben und lag jeweils bei über 90 %. Ausnahmen waren im Amt Marienburg die Gemeinden Klein Düngen (83 % katholische Bevölkerung im Jahr 1871), Marienburg (51 %), Marienrode (23 %), Neuhof (80 %) und Wesseln (87 %). Im Amt Dompropstei hatten alle 9 Gemeinden über 95 % katholische Bevölkerung.
Das Amt Steuerwald war am gemischtesten: hier hatten 17 von 34 Gemeinden über 90 % katholische Bevölkerung, weitere 3 über 80 %. In der Stadt Hildesheim gab es im Jahr 1871 noch 34 % Katholiken, außerdem 435 Juden, etwa 1 % der Bevölkerung. Folgende Gemeinden im Amt Steuerwald hatten 1871 zwischen 10 % und 70 % Katholiken: Moritzberg 69 %, Klein Escherde 66 %, Steuerwald 27 %, Wendhusen 21 %, und Nettlingen 11 %. Zu über 95 % lutherisch waren folgende 7 Gemeinden: Ahstedt, Barnten, Giften, Groß Escherde, Kemme, Rautenberg und Schellenberg.
In den übrigen, lange verlorenen Ämtern lag der lutherische Bevölkerungsanteil fast überall bei über 95 %, der katholische unter 5 %. Lediglich in den folgenden 16 Gemeinden der vier Ämter Liebenburg, Peine, Wohldenberg und Winzenburg lag der katholische Anteil bei über 25 %: im Amt Liebenburg bei 7 von 33 Gemeinden: Altenrode (66 %), Dorstadt (56 %), Grauhof (27 %), Heiningen (48 %), Liebenburg (46 %), Nienrode (28 %), Ringelheim (44 %); im Amt Peine in den kleinen, erst nach 1643 besiedelten Gemeinden Hofschwicheldt (26 %) und Telgte (37 %), auch in Hohenhameln (19 %) und dem Hauptort Peine (12 %) gab es größere, von der Herrschaft lange geförderte katholische Gemeinschaften; im Amt Wohldenberg gab es in 4 von 33 Gemeinden mehr als 25 % Katholiken: Astenbeck (44 %), Grasdorf (26 %), Henneckenrode (91 %), Sottrum (32 %); im Amt Winzenburg lag der katholische Anteil in 3 von 42 Gemeinden über 25 %: im Hauptort Burg Winzenburg (28 %), Everode (53 %), und Lamspringe (29 %), bei weiteren 3 Gemeinden lag hier der katholische Anteil um 15 %: in Klein Freden (18 %), Sibbesse (16 %) und Westfeld (15 %), in 36 von 42 Winzenburger Gemeinden lag der lutherische Anteil über 90 %.
In den sechs Ämtern Bilderlahe, Ruthe, Schladen, Steinbrück, Vienenburg und Wiedelah lag der katholische Anteil nur in den jeweiligen Amt-Hauptorten gleichen Namens (überwiegend das Areal um die alten Amtsburgen) über 20 %, weil in den Amtssitzen überwiegend katholische Beamten und Pächter angeworben wurden. In allen anderen Gemeinden dieser Ämter lag der lutherische Bevölkerungsanteil bei über 90 %. Die Angaben der katholischen Bevölkerung 1871 liegen in den Gemeinden Bilderlahe bei 33 %, in Ruthe bei 37 %, Schladen 23 %, Steinbrück 33 %, Vienenburg 26 %, und Wiedelah 58 %.
Im Amt Gronau lag der katholische Anteil im Hauptort Gronau bei 19 %, in Escherde 21 % und in Eitzum 14 %, in den übrigen 11 Gemeinden unter 10 %. In den 7 Gemeinden des Amts Poppenburg lag der katholische Bevölkerungsanteil zwar nirgendwo über 20 %, aber in den folgenden 4 Gemeinden bei über 10 %: Burgstemmen 19 %, Mahlerten, Mehle und Nordstemmen je 11 %. Im Amt Hunnesrück, der hildesheimischen Exklave im Braunschweigischen, hatten 14 von 15 Gemeinden einen lutherischen Bevölkerungsanteil von über 95 %; lediglich in einer Gemeinde, Dassel (7 %) lag der katholische Bevölkerungsanteil bei über 5 %.[9]
Anton Friedrich Büsching, Benjamin Gottfried Weinart: Magazin für die neue Historie und Geographie. Band 14, Halle 1783.
Christian H. Ebhardt: Gesetze, Verordnungen und Ausschreiben für das Königreich Hannover. Band 2, 1839.
Christian Hermann Ebhardt: Die Staats-Verfassung des Königreichs Hannover. 1860.
Friedrich Bernhard Grefe: Hannovers Recht, Band 1, 1860.
Thomas Klingebiel: Ein Stand für sich? Lokale Amtsträger in der frühen Neuzeit: Untersuchungen zur Staatsbildung und Gesellschaftsentwicklung im Hochstift Hildesheim und im älteren Fürstentum Wolfenbüttel. Hannover 2002.
Joachim Barward Lauenstein: Historia Diplomatica Episcopatus Hildesiensis, Das ist Diplomatische Historie des Bißthums Hildesheim : Darinnen Der Civil-, Militair- und Kirchen-Staat sowol der Niedersächsischen freyen Crayß-Stadt Hildesheim, als auch dieses gantzen Bißthums, umständlich abgehandelt, und bey Beschreibung der Stadt alle derselben hohe Gerechtsame, Befugniße, Freyheiten und Gewohnheiten, Regiments-Form ... Verlagsort: Hildesheim, Verlag: Schröder, Erscheinungsjahr: 1740. urn:nbn:de:bvb:12-bsb10002932-8
↑Christian Plath: Konfessionskampf und fremde Besatzung, Stadt und Hochstift Hildesheim im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges (ca. 1580–1660), Stadt Hildesheim, Stadtarchiv, Hildesheim 2005.
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Jürgen Stillig: Das Hildesheimer Jesuitenkolleg (1592-1773): Visionäre – Reformer – Modernisierer. Effektivität und Polyvalenz – geostrategische Missionsarbeit in der Diaspora. Hildesheim: Universitätsverlag Hildesheim 2019 (Hildesheimer Beiträge zu Theologie und Geschichte, Reihe B: Geschichte und Geschichtsdidaktik, Bd. 14). doi:10.18442/035
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Jürgen Stillig, Jesuiten, Ketzer und Konvertiten in Niedersachsen. Untersuchungen zum Religions- und Bildungswesen im Hochstift Hildesheim in der Frühen Neuzeit (Schriftenreihe des Stadtarchivs und der Stadtbibliothek Hildesheim 22), Hildesheim 1993
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Die Gemeinden und Gutsbezirke des Preussischen Staates und ihre Bevölkerung: nach den Urmaterialien der allgemeinen Volkszählung vom 1. December 1871 / Band 8: Die Gemeinden und Gutsbezirke der Provinz Hannover. Berlin : Verl. d. Königl. Statist. Bureaus, 1873. - VII, 300 S.: S. 36-49; Amt Hunnesrück S. 62-65. https://opacplus.bsb-muenchen.de/title/BV014917052 (Open Access)