Karrodounon

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Lage von Karrodounon nach Ptolemaeus
Rekonstruktion eines vierrädrigen Wagens der Kelten

Karrodounon (altgriechisch Καρρόδουνον, lateinisch Carrodunum) ist ein Ortsname, der von Ptolemäus in seinem um das Jahr 150 erstellten Koordinatenwerk Geographia (Ptolemäus 2, 11, 29[1]) als einer der im Innern der Germania magna südlicher liegenden Orte (πόλεις) mit 42° 40' Länge und 51° 30' Breite verzeichnet wird. Des Weiteren nennt Ptolemäus drei weitere Orte des gleichen Namens.

An insgesamt vier Stellen seines Ortkatalogs gibt Ptolemäus Karrodounon an: in Germanien (2,11,29[1]), in Vindelicium (2,12,4)[2], in Pannonien (2,14,4) und in Sarmatien (3,5,30[3]).

Die in der Etymologie anerkannte Grundbedeutung von Karrodounon ist ‚Wagenburg‘. Bei dem Ortsnamen liegt nach Günter Neumann[4] ein gallisches Determinativkompositum vor, das sich aus carrus ‚vierrädriger Wagen‘ und dounon ‚befestigter Ort‘ zusammensetzt.[5] Einen Beleg dafür gibt Vegetius (3,10[6]). Er verwendete das ins Lateinische entlehnte carrus, als er das Lager der Barbaren als Wagenburg beschrieb: “Omnes barbari carris suis in orbem conexis ad similtudinem castrorum securas a superuentibus exigunt noctes.” (deutsch: „Alle Barbaren verbringen die Nächte sicher vor Überfallen, dadurch, dass sie ihre Wagen zu einem Kreis zusammengefahren und so eine Art Lager gebildet haben“).[7] Eine ursprünglich behelfsmäßige Verteidigungsanlage wie die Wagenburg hat wohl, so Neumann, mehrfach den Keim einer festen Siedlung gebildet. Das Substantiv duno- erscheint in vielen keltischen Ortsnamen, z. B. Lugu-dunum in Frankreich >Lyon, in den Niederlanden >Leyden, Cambo-dunum >Kempten oder Lopodunum >Ladenburg.[8]

Abgelehnt werden die Verknüpfungen von Karrodounon in Vindelicium (Ptolemäus 2,12,4) mit dem heutigen Ortsnamen Karnberg bei Wasserburg am Inn oder von Karrodounon in Sarmatien (Ptolemäus 3,5,30) mit Zarnowice im heutigen Polen, die einzig auf den Anklang der ersten Silbe gestützt und unsicher sind. Ebenso wird die ältere These, im Grundwort des Ortsnamens liege der Name des gallischen Gottes Mars Carrus vor, für wenig wahrscheinlich gehalten, da es sich hier lediglich um einen lokalen Gott handelt.[9][10]

Nach Reichert geben die etymologischen Schlüsse Neumanns eine vollständige sprachliche als auch sachliche Erklärung des Namens, doch stellt er darüber hinaus fest, dass die Ortsnamen auf -dunum,[11] meistens mit Grundwörtern gebildet sind, die auf die Natur des Ortes referieren, und nur wenige mit Personennamen. Danach zeigen Karrodounon und ähnliche Ortsnamen die Beibehaltung der alten keltischen Siedlungen und Siedlungsnamen durch die germanische Bevölkerung insbesondere in Böhmen und Mähren an.[12][13]

Bisher konnte der laut Ptolemäus in der Germania magna befindliche Ort nicht näher lokalisiert werden. Eine fundierte Aussage zum Breitengrad von Karroudounon ist nicht möglich: es wird mit 51° 30' oder 50° 30' Breite angegeben. Die Ortsangaben im Bereich von Böhmen sind unsicher, da Ptolemäus von der Meeresküste oder von der Donau aus berechnet oder einen Kompromisswert angesetzt haben könnte. Dazu kommt die unbestimmte Überlieferung der Breitenangabe von Karroudounon aufgrund eines vielleicht ausgefallenen Zahlzeichens α in der besser erhaltenen Handschrift X mit der niedrigeren Koordinate. Dem Längengrad nach lag Karroudounon wohl an einem Handelsweg von Kalamantia[14] zur Weichselmündung.[15] Je nach angenommenem Breitengrad kommt man auf Orte südlich oder nördlich von Ostrava (Mährisch-Ostrau) in Tschechien.[16] Ein interdisziplinäres Forscherteam um Andreas Kleineberg, das die ptolemäischen Koordinaten von 2006 bis 2009 neu untersuchte und interpretierte, lokalisiert derzeit Karrodounon in Germanien auf dem Gebiet bei Rýmarov (Römerstadt) in Tschechien.[17]

  1. a b The Geography of Claudius Ptolemy: Book II, Chapter 10: Greater Germany (Fourth Map of Europe). penelope.uchicago.edu, abgerufen am 7. Juni 2019 (englisch).
  2. Vgl. Theodor Hopfner: Carrodunum. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Supplementband III, Stuttgart 1918, Sp. 235 f. Hopfner liest zur Stelle in Vindelicium (Ptolemäus 2,12,4) die Variante Καρνόδουνον, wobei er deren Grundwort mit keltisch *carno- ‚Horn‘ (auch ‚Hügel‘) verknüpfen möchte.
  3. The Geography of Claudius Ptolemy: Book III, Chapter 5: Location of European Sarmatia (from the Eighth Map of Europe)). penelope.uchicago.edu, abgerufen am 7. Juni 2019 (englisch).
  4. Vgl. Günter Neumann: Karrodounon. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Nr. 16. de Gruyter, Berlin 2000, ISBN 3-11-016782-4, S. 322.
  5. Vgl. Alfred Holder: Alt-celtischer Sprachschatz. Band 1, 1896, S. 1375; 1 (Nachdruck 1961). Das gallische carrus entspricht lautlich dem lateinischen currus; dounon bedeutete ursprünglich ‚Zaun‘, dann ‚befestigter Platz‘ und schließlich ‚Stadt‘.
  6. FLAVI VEGETI RENATI VIRI INLUSTRIS COMITIS EPITOMA REI MILITARIS LIBER III. thelatinlibrary.com, abgerufen am 7. Juni 2019 (Latein).
  7. Zur germanischen Wagenburg vgl. Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte. Band 3. Heidelberg 1967, S. 291.
  8. Vgl. Adolf Bach: Die deutschen Ortsnamen. Die deutschen Ortsnamen in geschichtlicher, geographischer, soziologischer und psychologischer Betrachtung. In: Ders. (Hrsg.): Deutsche Namenkunde. Band 2. Winter, Heidelberg 1954, § 434.
  9. Vgl. Wolfgang Meid: Aspekte der germanischen und keltischen Religion im Zeugnis der Sprache. Innsbruck 1991, S. 39 f., Anmerkung 9.: Mars Carrus gehört nach Meid zu dem Alpenwort carr- ‚Stein‘.
  10. Vgl. Günter Neumann: Karrodounon. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Nr. 16. de Gruyter, Berlin 2000, ISBN 3-11-016782-4, S. 322.
  11. Vgl. Alfred Holder: Alt-celtischer Sprachschatz. Nr. 1. Teubner, Leipzig 1904, S. 1376 f.: Alfred Holders Zusammenstellung zeigt die häufige Bildung der Ortsnamen auf -dunum mit Erstgliedern (Grundwörtern), die sich auf die Natur des Ortes beziehen.
  12. Vgl. David Ellis Evans: Gaulish personal names. A study of some Continental Celtic formations. Nr. 3. Clarendon Press, Oxford 1967, S. 293, 297, 349.
  13. Vgl. Hermann Reichert: Karrodounon. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Nr. 16. de Gruyter, Berlin 2000, ISBN 3-11-016782-4, S. 322 f.
  14. Nach Ptolemäus 2,11 mit 41° 00' Länge und 47° 40' Breite.
  15. Nach Ptolemäus 2,11 mit 45° 00' Länge und 56° 00' Breite.
  16. Vgl. Theodor Steche: Altgermanien im Erdkundebuch des Claudius Ptolemäus. Leipzig 1937, S. 149., vgl. Gerhard Rasch: Die bei den antiken Autoren überlieferten geografischen Namen im Raum nördlich der Alpen vom linken Rheinufer bis zur pannonischen Grenze, ihre Bedeutung und ihre sprachliche Herkunft. (Ruhpolding), Heidelberg 1950, S. 33, T. 1. 2. sowie vgl. Günther Christian Hansen: Ptolemaios. In: J. Herrmann (Hrsg.): Griechische und lateinische Quellen zur Frühgeschichte Mitteleuropas bis zur Mitte des 1. Jahrtausends u. Z. (= Schriften und Quellen der Alten Welt. Band 37). Nr. 3. Akademie-Verlag, Berlin 1991, S. 580.
  17. Vgl. Andreas Kleineberg, Christian Marx, Eberhard Knobloch, Dieter Lelgemann: Germania und die Insel Thule. Die Entschlüsselung von Ptolemaios´ "Atlas der Oikumene". Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2011, ISBN 978-3-534-24525-3.